Ein Plädoyer für intelligentes Vocal Branding
Auf meinen Bildschirm blinkt es, eine neue E-Mail ist eingelangt. Da ich den Absender nicht kenne, überfliege ich die Betreffzeile und werfe einen kurzen prüfenden Blick auf den ersten Absatz. „Leichter vielversprechende Geschäftskontakte auf LinkedIn gewinnen“, steht da. Interessant, denke ich – und klicke neugierig den Link.
Die Website schaut auf den ersten Blick klar und professionell aus, anständig designed. Die Portraitfotos des Mannes, der mir in der Headline verspricht, mit seinem Kurs meine Einkünfte zu verbessern, sind gut gewählt – der erste Eindruck passt.
Ich klicke auf den Play-Button des Videos – und jetzt kommt die Ernüchterung. Was auf den ersten Blick so vielversprechend aussah, atomisiert sich bereits während des ersten gesprochenen Satzes. Mein Ohr ist verstimmt – mit einem kurzen Klick auf die linke Maustaste ist das Video beendet.
In der täglichen Flut an Zeichen überleben
Unser Gehirn schützt uns. Es arbeitet sich vom Groben ins Feine vor. In unglaublicher Geschwindigkeit trifft es für uns Entscheidungen. Deshalb sind die ersten Signale so wichtig – und außer am Telefon vermittelt uns das Auge den sprichwörtlichen ersten Eindruck. Und der setzt sofort massive Filter in unsere Wahrnehmung. In der Psychologie spricht man vom Primacy- oder Halo-Effekt, dem bis zu zehn Minuten andauernden Überstrahlen und Filtern nachfolgender Eindrücke. Wer sich wie ich schon einmal gefragt hat, wie man nur mit einer knallroten Mickeymouse-Krawatte in ein hochrangiges Meeting gehen kann, und dann minutenlang vom Thema abgelenkt war, weiß, wovon ich spreche.
Das äußere Erscheinungsbild lässt sich aber, wie wir alle wissen, bis zu einem gewissen Grad „gut designen“. Kleidung, Brille, Frisur, IPad-Hülle … schon erscheinen Mann und Frau von Welt. „Personality nach Katalog“? Im Gespräch über das Entwickeln einer persönlichen Marke warnt Stilexpertin Elisabeth Motsch eindringlich vor der Illusion, Kleidung und Accessoires gegen den Kern der Persönlichkeit designen zu können. Auch hier gelte es, Dissonanzen tunlichst zu vermeiden, Formen und Farben, Textur und andere sichtbare Zeichensensibel auf das Individuum abzustimmen.
Unser Ohr ist unerbittlich
Dass es speziell im Beruf wichtig ist, das sichtbare Erscheinungsbild zu formen, wird heute wohl niemand mehr hinterfragen. Wenn aber laut einer Karmasin-Studie nur 7% der befragten Führungskräfte mit ihrer Stimme und Sprechweise richtig zufrieden sind, zeigt dies das geringe Bewusstsein für „Vocal Branding“ im Business.
Im Marketing bereits recht gängige Begriffe wie „Audio Branding“ oder „Corporate Sound“ beschränken sich bislang auf das Klangdesign von zuschlagenden Autotüren, den richtig crispen Ton beim Biss in den Keks in der TV-Werbung oder auf Werbe-Jingles und Audiologos. Als wäre die Tonalität der Kommunikation derselben Firma nebensächlich.
Wie der Geschäftsführer im Radiointerview klingt? Wie der Innendienst mit dem Verkäufer spricht? Wie im Videotutorials der Entwickler die Software erklärt? Diese stark wirksamen unbewussten Zeichen werden viel zu selten absichtsvoll genutzt.
Was die Stimme über die „Marke ich“ verrät
Lassen Sie uns deshalb als erstes genauer prüfen, was sich an wettbewerbsentscheidenden Markenattributen aus der Stimme und der Sprechweise einer Person herauslesen läßt!
So wie auch bei Betrachten eines Markenlogos, erfassen wir an der Stimme zuerst die groben Informationen:
- Hört sich das nicht nach Schwäbisch an? Klingt die Aussprache nach Hamburg, Wien, München oder Innsbruck? Damit ist rasch die regionale Herkunft zugeordnet.
- Gepflegte Ausdrucksweise oder hemdsärmelig gesprochen? Breiter Dialekt oder Hochdeutsch? Nicht nur wo wir aufgewachsene sind, ist hörbar. Auch in welchem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld wir sprechen gelernt haben, wird blitzschnell erfasst.
Innovativ oder beharrend?
Was die Stimme über die „Marke Ich“ verrät, hat aber noch eine gänzlich andere Dimension. Denn wo wir aufgewachsen sind, dafür sind wir nicht verantwortlich zu machen. Genauso wenig konnten wir uns aussuchen, in welches Milieu wir hineingeboren wurden. Ob und in welchem Ausmaß wir uns jedoch im Lauf unseres Lebens dazu entschlossen haben, uns weiterzuentwickeln und uns zu empanzipiert, das drückt unsere Stimme ganz klar aus.
- Unsere Stimme lässt hören, wo wir aufgewachsen sind – aber auch, ob wir dort stehen geblieben sind. Und eigenständig und neugierig neue Wege in die Welt gesucht haben
- Unsere Stimme lässt hören, in welches Umfeld wir hineingeboren wurden – aber ebenso, ob wir uns nach eigenem Willen gegenüber unserer Herkunft emanzipiert haben. Und uns also nach eigenem Gutdünken und unabhängig von sozialen Normen autonom weiterentwickelt haben.
Die hörbare innere Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung ist eines der besonders wirksamen Markenattribute der menschlichen Stimme. Denn: Wer will schon mit einem Menschen zusammenarbeiten, der immer auf dem Bestehenden beharrt und sich grundsätzlich Neuem verschließt?
Weckt diese Stimme Marken-Sympathie?
Machen Sie den Versuch und überprüfen Sie bei Ihren nächsten Telefonaten die Stimmen auf die drei wichtigsten Sympathiefaktoren:
- Erkenne ich diese Stimme beim zweiten Anruf spontan wieder – und ist mir das angenehm?
- Empfinde ich Gemeinsamkeiten? Gefühlte Parallelen erzeugen starke Anziehungskraft.
- So will ich auch sprechen oder klingen! Wohltuende Besonderheiten (besonders voll klingend, spezielles Timbre etc.) werden unbewusst als vorbildlich wahrgenommen.
Stimmt die Ausdrucksweise mit Angebot, Auftritt und Werten überein?
Angenommen, Sie lesen über ein interessantes Produkt und sehen dann kurz danach einen gut gemachten Werbespot im TV, der ihren guten ersten Eindruck noch weiter verstärkt. Neugierig greifen Sie zum Telefon, um nachzufragen, ob der Artikel auch wirklich lagernd sei – und es tönt Ihnen nach längerem Läuten eine uninspirierte Stimme entgegen, die Ihnen unwillig Auskunft gibt.
Ob am Telefon, am Anrufbeantworter, ob in der Videonachricht oder im Mitarbeitergespräch, die Stimme erfüllt entweder ausdrucksstark das Markenversprechen – oder die Marke ist beschädigt.
Was sollten Sie tun, um Ihren Markenauftritt stimmlich zu unterstützen?
Überprüfen Sie die besonders wesentlichen Touchpoints, in denen die Stimme gegenüber internen und externen Kunden besondere Aussagekraft hat.
Definieren Sie vorerst präzise, welche Klangcharakteristika Sie Ihrer Marke zuordnen:
- Träge oder lebendig und energievoll?
- Bedächtig oder animierend?
- Sachlich kühl oder voll menschlicher Wärme?
- Verspielt und fantasievoll oder klar und strukturiert?
- Spritzig und erfrischend oder rund, voll und aromatisch?
- Schrill, grell und bunt oder eher konservativ und gesetzt?
Welchen stimmlichen Eindruck wollen Sie bei den vielen Momenten des ersten Eindrucks wecken?
- beim Melden am Telefon
- beim Eröffnen eines Meetings
- bei den ersten Sätzen Ihrer Präsentation
- mit den ersten Worte Ihres Videos
- mit Ihrer Telefon-Mailbox
Welche Ihrer Markenwerte sollen die Stimmen in wichtigen Momenten der firmeninternen Kommunikation repräsentieren?
- Beim Delegieren von Aufgaben?
- Im Kritikgespräch?
- Bei Begegnungen im Unternehmen?
Die Stimme im Personal Branding – das unterschätzte Element
Es war der römische Sprecherzieher Quintilian (30-96 n. Chr.), der erkannte „Wer das Ohr beleidigt, dringt nicht zur Seele vor!“ Ein gutes Argument, um neben dem sichtbaren auch das hörbare Erscheinungsbild zu formen. Stimme wirkt. Achten Sie darauf, dass die unbewussten Signale Ihrer Stimme die gut überlegte Wirkung Ihres geschmackvollen Corporate Designs, Ihres Outfits und die kluge Wahl Ihrer Worte verstärken und nicht – wie so oft zu erleben ist – schlagartig zunichte machen.
Lesen Sie dazu auch:
- So entsteht Ihr stimmliches Markenprofil
- Stimmig positioniert! (Buchtipp)
- Der Ton macht die Musik auch im Videotelefonat
Wenn Sie bis hierher gelesen haben:
Was denken Sie nun? Wo sehen Sie nun Ihre wichtigsten Ansatzpunkte, Ihre stimmliche Marke nachzuschärfen? Wenn ich mit diesem Beitrag einen Anstoß dazu geben konnte, bei Ihren nächsten stimmlichen „Touchpoints“ noch präziser Ihren Markenwerten entsprechend aufzutreten, freue ich mich ganz besonders!
Lassen Sie mich in den Kommentaren wissen: Welche Tipps halten Sie für besonders nützlich? Welche stimmlichen Ausdrucksqualitäten entsprechen Ihren Markenwerten ganz besonders? Ich freue mich auf Ihre Gedanken!
„Be unique! Don’t sound like everyone else!“
Ihr Arno Fischbacher
Der Autor:
Arno Fischbacher ist Business-Stimmcoach und Rhetorik-Experte, Redner und Autor. Er bereitet Führungskräfte und Mitarbeiter der Top-Unternehmen in Deutschland und Österreich auf Verhandlungen, Präsentationen und Medienauftritte vor. Fischbacher ist Autor mehrerer Bücher, Past-Präsident der German Speakers Association (GSA) Österreich, Vorstand des Europäischen Netzwerks der Stimmexperten, stimme.at.
Wenn Sie mehr über konkrete Trainingsmöglichkeiten mit Arno Fischbacher erfahren wollen, vereinbaren Sie hier ein kostenloses Infogespräch.
Wie immer sehr interessante Gedanken zum Thema „Stimme“. Das wird aus meiner Sicht extrem unterschätzt und als „gegeben“ angenommen, während viel Zeit und Kraft in andere Aspekte unseres Erscheinungsbildes gelegt werden (Figur, Gewicht, Frisur, Kleidung). Dabei wirkt die Stimme direkt ins Unterbewusste hinein – sehr gut beschrieben! Vielleicht können sich viele Menschen einfach nicht vorstellen, was sie daran ändern könnten – und wie. Mich würden daher auch Erfolgsgeschichten interessieren.
Beste Grüße und weiter viel Erfolg!
Carola Feller
Oh das ist eine gute Anregung, liebe Carola Feller! Danke dafür!
Gratuliere, ihr Auftritt gefällt mir. spricht meinen Verstand und Gefühle an.
Danke für Ihr schönes Feedback!
Lieber Arno!
Dein Auftritt ist wirklich beeindruckend professionell, am Puls des Themas, informativ, sympathisch und übersichtlich!
Gratulation und liebe Grüße
Sanne
Hallo Arno! Hatte kurz Zeit bei Dir reinzuschauen – dzt. RICHTIG viel Arbeit –
Wille zur Weiterentwicklung – in der Stimme – ein spannender Aspekt – werd‘ versuchen, da hinzuhören!
Danke!
Alles Liebe! Arno
Hallo Arno,
danke für Dein nettes Feedback!
Alles Gute und herzlichen Gruß,
Arno