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Es ist fünf Minuten vor Zehn vormittags im Homeoffice, der Laptop ist schon warmgelaufen und die ersten heiklen Telefonate mit einem Zulieferer sind erledigt. Routiniert wird MS Teams hochgefahren und die Webcam zurechtgerückt. Jetzt heißt es nur noch schnell den Sportanorak aus dem Bildhintergrund wegschaffen und die Kaffeetasse außer Sichtweite rücken. Schließlich wird gleich der Entwicklungschef in das umfunktionierte Gästezimmer gucken können: Hallo beim Technik-Montagsmeeting!
Der erlösende Klick beendet fünfundsechzig lange Minuten später die Qual, nach einer wenig erhellenden Berichtsrunde und der zäh sich dahin schleppenden Chef-Info über das kommende Projekt. Erleichterung.
Unser Heimarbeiter steht auf und streckt sich. Läuft kopfschüttelnd mit der leeren Tasse in die Küche zur Kaffeemaschine. Und während der Duft des Espresso den Raum füllt, hören wir ihn halblaut seufzen: „Weshalb nur in aller Welt sagt ihm niemand, dass man seinem faden Gerede einfach nicht zuhören kann??“
Was macht die Selbstreflexion der eigenen Art zu sprechen so anspruchsvoll?
Vielleicht kennen Sie Momente wie jenen oben beschriebenen. Und ertappen sich auch manchmal bei Gedanken wie:
- „Weshalb bemerkt er/sie das jetzt nicht selbst?“ oder
- „Wieso sagt ihr das denn endlich niemand?“
Drei starke Faktoren verhindern Selbsterkenntnis und Weiterentwicklung:
- Mangelndes offenes und kompetentes Feedback, insbesondere, wenn Sie sich in gehobener Position befinden
- Lang eingeübte Verhaltensroutinen verhindern Hinterfragen. Sie fühlen sich „normal“ an und werden vom Verstand dadurch als „gewohnt richtig“ gewertet
- Wenn Sie bspw. während Ihrer Präsentation deutlich das Gefühl verspüren „Ich spreche viel zu schnell!“, wird die Erleichterung nach dem Beenden groß sein. Die vorherige Unzufriedenheit wird danach von der Begeisterung des “Gut geschafft” überlagert und Sie verbleiben schlussendlich bei ihrem altbekannten Verhalten.
Worin liegen die speziellen Tücken beim Online-Videocall?
Sie kennen vermutlich dieses Szenario: Ihre Teilnehmer sind stumm geschaltet, manche haben selbst ihr Kamerabild abgeschaltet, sodass Sie nur ein schwarzes Rechteck sehen. Jegliche Reaktion fehlt.
Selbst beim Präsentieren mit „echtem Publikum“ ist das ein Fallstrick: Wer nicht gelernt hat, seinen Zuhörern listig durch Eloquenz und souveränes sprachliches Auftreten sicht- und hörbare Reaktionen zu entlocken, der hat das Gefühl, zu einer Wand zu sprechen. Das stresst, jagt den Blutdruck in die Höhe und beschleunigt. Sogenannter Sprechdruck entsteht.
Als Zuhörer erleben wir folgenden Teufelskreis:
- Fehlende Verständnispausen verhindern unser tiefes Mitdenken und Assoziieren
- Wenn wir beim Zuhören einmal den Faden verloren haben, sinkt die Lust, neu einzusteigen
- Das Gefühl, nicht persönlich angesprochen zu sein, verleitet zum Abschweifen. Eine perfekte Gelegenheit, Emails abrufen, am Handy zu lesen etc.
Drei typische ermüdende Sprechmuster
Verbessern kann sich jemand erst, wenn der Engpass definiert ist. Im Falle der Rede des Entwicklungschefs sind die Aufmerksamkeits-Killer rasch dingfest gemacht.
- Fehlender Dialog: Wer besonders bemüht ist, Sachinformationen aneinander zu reihen, vergisst auf das Bedürfnis der Zuhörer, sich innerlich zu beteiligen.
- Stereotype Sprechweise: Hier nerven speziell die sogenannten „Entenschwänzchen“. Damit wird die am Satzende hochgezogene Sprechmelodie bezeichnet, meist gefolgt von einem kurzen „äh“ sowie einem langgezogenen „… und …“. Dadurch entstehen
- Girlandensätze: So werden jene schier endlosen Satzfolgen genannt, die durch das Verbinden mit dem Wörtchen „… und …“ entstehen. Sie signalisieren uns als Zuhörern deutlich, dass ohnehin gleich der nächste Satz kommt und wir somit weder reagieren noch mitdenken müssen.
Warum ohne bewusstes Gestalten die Botschaft nicht ankommt
Schon die alten Rhetoriker waren sich in diesem Punkt einig: das sachlich richtige Argument beeindruckt nur mäßig und überzeugt bestenfalls Experten. Begeisterung hingegen erzeugt ein pointierter, prägnanter Stil, der die Gedankenwelten der Zuhörer einbezieht. Und nur er ist imstande, einen Meinungsumschwung bei Andersdenkenden oder Indifferenten herbeizuführen.
Wie der Einfluss des Stimmklangs und der Tonalität dabei die Weichen zwischen impulsiver Ablehnung und emotionaler Bereitschaft stellen, belegt heute die moderne Psycholinguistik höchst exakt. Bereits eine viertel Sekunde, bevor im „Siri“ des Gehirns (dem Sprachzentrum) die Worte verstanden werden, entscheidet der Klang im Limbischen Gehirn über die Aufnahmebereitschaft.
Vier Praxistipps für motivierende Sprechweise im Videocall
Überlassen Sie Ihre Wirkung nicht dem Zufall. Schon mit einfachen Mitteln steigern Sie die Zuhörbereitschaft und damit Ihre Wirksamkeit enorm. Beachten Sie dabei speziell die vier unbewussten Kernaussagen Ihrer Stimme:
- Führungsstärke: Im Homeoffice bequem vor der Laptop-Kamera sitzen und sprechen ist keine gute Idee, denn die Stimme ist der hörbare Teil Ihrer Körpersprache. Allein schon durch gezieltes Verändern der Körperhaltung (aufrichten, Gesten freien Lauf lassen) vermittelt Ihre Stimme mehr Klangfülle und Volumen. Ihre Sprechpausen schaffen Aufmerksamkeit. Starke Worte am Satzbeginn wecken Neugier. Ernstgemeinte Fragen, mit denen Sie Schmerzpunkte und Bedenken Ihrer Zuhörer ansprechen, gliedern wirkungsvoll.
- (Selbst-)Empathie: Haben Sie während des Sprechens die Gedanken, Beweggründe und Reaktionen Ihrer Zuhörer im Blick? Selbstbezogenes, empathieloses Sprechen stößt rasch auf Ablehnung und erzeugt inneren Widerstand.
- Befindlichkeit: Nervt Sie gerade der Einwand eines Mitarbeiters? Ihre Stimme verrät jede innere Regung. Achten Sie auf Zeit- und Ergebnisdruck, planen Sie Zeitpuffer ein. Online-Meetings benötigen besonders straffes Zeitmanagement und klare Struktur, achten Sie auf wiederholte Zusammenfassungen.
- Beziehungsqualität: Das Ko-Kriterium in der Business-Kommunikation, denn es macht Ihren Führungsstil transparent und zeigt Ihre innere Einstellung zu Ihren Mitarbeitern bzw. Kunden. Ihre Stimme verrät im Ton, ob Sie Ihr Gegenüber nur als Mittel für Ihren Vorteil wahrnehmen, oder als Individuum mit Bedürfnissen, Gefühlen und Werten.
Sich über die Wirkung der eigenen Stimme bewusst werden ist die Königsdisziplin jeder rhetorischen Schulung. Erst Ihrer Stimmkompetenz erweckt auch im Videocall Ihre wertvollen Inhalte durch mitreißenden Vortrag und begeisternde Sprechweise zum Leben.
Der Autor:
Arno Fischbacher ist Business-Stimmcoach und Rhetorik-Experte, Redner und Autor. Er bereitet Führungskräfte und Mitarbeiter der Top-Unternehmen in Deutschland und Österreich auf Verhandlungen, Präsentationen und Medienauftritte vor. Fischbacher ist Autor mehrerer Bücher, Past-Präsident der German Speakers Association (GSA) Österreich, Vorstand des Europäischen Netzwerks der Stimmexperten, stimme.at.
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