Ganz schön doppelbödig, diese Frage, nicht wahr? Um ein Haar hätte ich – aus dem allerersten Reflex heraus – auf diese Frage eines Forum-Teilnehmers auf LinkedIn ohne nachzudenken mit ins Loblied der Rhetorik eingestimmt. Dann aber hat sich in mir eine zweite Stimme gemeldet.
So sehr die rhetorischen Ausdrucksmittel wie unsere Sprache, die Stimme und die Körpersprache immer wieder Gutes tun und dem Besseren zum Durchbruch verhelfen, so sehr helfen dieselben Werkzeuge doch mancherorts auch, Konflikte zu verschärfen, Menschen gegeinander aufzuhetzen und unsägliche Gräuel anzurichten.
Es ist wohl wie bei vielen Lebensthemen: Letztlich offenbart sich auch in der Rhetorik die Geisteshaltung, das Menschenbild. Herzensbildung ist somit vielleicht die Königsdisziplin der rhetorischen Schulung.
Eine sehr interessante Frage – unter anderem auch, weil es keine allgemeingültige Definition von Rhetorik gibt. Man könnte sagen, Rhetorik ist eine bestimmte Art des sprachlichen Ausdrucks, vielleicht kann man sogar weiter gehen und vom bewussten Einsatz sprechen, aber was ist mit der unbewussten Manipulation? Muss man dann nicht auch fragen: Was wäre die Welt ohne Sprache?
Ja, man kann mit Sprache viel Unheil anrichten, aber mit den Steinen mit denen wir Häuser bauen kann man auch einen Menschen erschlagen und sogar Kunst wurde verwendet um Menschen zu schaden. Wenn wir also alles ablehnen, was auch gegen den Menschen verwendet werden könnte, wäre unser Leben sehr armselig.
Aber zurück zur Rhetorik: Für die Sophisten war die Rhetorik eine Wissenschaft des Wahrscheinlichen. Mit den Mitteln der Rhetorik lässt sich herausfinden, was wahrscheinlich richtig ist. Platon hat diese Wahrscheinlichkeit scharf kritisiert, denn nicht am wahrscheinlichen solle man sich orientieren, sondern an der Wahrheit, aber sind wir in der Lage die Wahrheit zu erkennen. Immer wieder erzählen Religionsgruppen, sie wüssten was wahr ist und was nicht und fordern eine strickte unterordnung unter ihre Wahrheit – wollen wir das? Rhetorik ermöglicht die Pluralität. Mehrere Meinungen über unsere Welt können nebeneinander bestehen, mal ist die eine mal die andere überzeugender und damit wahrscheinlicher. Für den einen ist dies, für den anderen das wahr. Wünschen wir uns nicht Respekt vor der Meinungsvielfalt? Damit einher geht auch die Bereitschaft, das eigene Weltbild zu hinterfragen, es als eines von vielen zu sehen.
Diese Grundhaltung finde ich wesentlich ansprechender, als den Versuch sich an „einer Wahrheit“ zur orientieren.
Und die negativen Auswirkungen? Einige Menschen verwenden rhetorische Mittel um, wie Sie sagen, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Wir werden manipuliert und die Rhetorik hilft denen, die uns manipulieren. Das ist meine Begründung für rhetorische Bildung. Wenn wir die Techniken und Anwendungen der Rhetorik kennen, können wir rhetorischen Manipulationen auf Augenhöhe begegnen. Wir können die Schwachstellen erkennen und hinterfragen, Gegenargumente finden und so zu einer Diskussion kommen, statt uns über’n Tisch ziehen zu lassen.
Es gibt Menschen, die haben ein Talent für große Reden. Oft verwenden sie Scheinargumente, die zwar überzeugend wirken, aber nicht plausibel sind. Wollen wir diesen Menschen das Feld überlassen?
Ich nicht! Ich möchte die Argumente erkennen und prüfen, ich möchte Diskussionen statt Dogmen und dafür brauche ich Rhetorik.
„Lautsprecher verstärken die Stimme, aber nicht die Argumente.“
Hans Kasper