Meetings und Diskussionen in Gruppen sind für Introvertierte oft sehr anstrengend – vor allem, wenn es extrovertierte Teilnehmer gibt, die in solchen Situationen viel und laut reden. Die Folge: Intros fühlen sich schnell wie unsichtbar. Wer die Stimme hier richtig einsetzt, kann trotzdem Aufmerksamkeit bekommen und gekonnt überzeugen.

Wenn laute Argumente die guten übertönen

Ines und Edgar sind beide Abteilungsleiter im selben Unternehmen. Ines ist introvertiert, Edgar ist extrovertiert. Beide hoffen sie, dass sie eine Chance auf die bald frei werdende Bezirksleiterposition haben. Gerade sitzen sie in einem Meeting. Thema: Ausbau des Vertriebsnetzes ins Ausland.

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Ines: „Ich habe recherchiert – die beste Möglichkeit ist eine Expansion in die EU-Märkte Osteuropas. Polen und Bulgarien haben dabei Standortvorteile. (blickt auf ihr Papier) Wir könnten auch von den Verbindungen profitieren, die wir in Ungarn schon haben, und dann gibt es noch die Allianz, die wir mit der tschechischen Firma Ybos haben, die könnten dann …“

Edgar: (unterbricht) „Grundsätzlich ist der Vorschlag gar nicht schlecht – wenn wir auf ein paar Details in der Durchführung achten, könnte das klappen. Hier sind die Risiken: (…) Wenn wir diese drei Dinge klären, würde ich sagen: Los geht’s!“

Abteilungsleiter: „Hmm. Ich verstehe. Edgar, würden Sie sich der Sache annehmen und die offenen Punkte klären?“

Edgar: „Mache ich!“

Ines: (guckt fassungslos)

Abteilungsleiter: „Danke! Bestens. Kommen wir zum nächsten Punkt: (…)“

Ines: (rollt mit den Augen und verschränkt die Arme)

Alte Emotionen verhindern Veränderung

Unter Stress übernehmen oft die Emotionen das Kommando. Dann fallen wir leicht in Verhaltensweisen zurück, die uns von unserer Neigung her näher sind als alles Strategische, Bewusste und Geplante.

Und so erstarrt die introvertierte Ines nach Edgars entschlossener Initiative in einer passiven Haltung, anstatt etwas zu sagen. Sie meidet den offenen Konflikt – es lässt sich aber leicht vorstellen, was in ihrem Kopf abgeht. Extros neigen in solchen Situationen zu „lauten“ Äußerungen. So haben es Intros und Extros in diesen Fällen schwerer miteinander, weil ihre Unterschiede direkt aufeinanderprallen. Wenn sie aber ein Bewusstsein für ihre eigenen unbewusst ablaufenden Muster (und für Fortgeschrittene: die unbewussten Muster der anderen) entwickeln, können sie sich vorbereiten, angemessen reagieren und, wenn nötig, Grenzen setzen.

Bewusst werden über eigene Neigungen

Was hilft Ines also? Wenn sie …

  • etwas über ihre eigenen typischen Reaktionen weiß,
  • bewusst hinschaut,
  • außerdem noch weiß, was sie genau will,
  • weiß, wie Edgar als Extro gern reagiert und wie sie ihrerseits mit ihm umgehen kann,

dann wird sie sich im Meeting mit Souveränität und auf ihr Ziel ausgerichtet äußern können.

Wer sich kennt, ist stärker!

Und noch etwas kommt hinzu: Wer authentisch kommuniziert, hat in Statusauseinandersetzungen besonders gute Erfolgsaussichten. Authentisch heißt: im Einklang mit den eigenen Motiven, Werten und Eigenschaften. Es geht also darum, die eigenen Ziele gemäß der eigenen Persönlichkeit zu verfolgen – und nicht den großen Zampano oder das kleine Häschen zu spielen, weil irgendwelche Rollenmodelle das zu fordern scheinen.

Vielleicht ist Edgars Verhalten im Meeting in dieser Hinsicht stimmig. Ebenso stimmig sollte auch Ines handeln, wenn sie ihm etwas entgegensetzt. Wer um seine Möglichkeiten weiß, kann auch jenseits seiner „offiziellen“ Position selbstbewusst seine Möglichkeiten nutzen und in vielen Fällen andere überzeugen, die rein formal sehr viel mächtiger scheinen. Denn es geht darum, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten bewusst und möglichst gut zu nutzen – wenn Sie etwas erreichen wollen, das Ihnen wichtig genug ist, um es zu versuchen.

  • Die eigenen Kommunikationsweisen wahrnehmen und
  • die Unterschiede zwischen Intro- und Extro-Verhaltensweisen kennen:

Diese beiden Faktoren sorgen für Authentizität und für Abstand. So bleiben gerade unter Stress negative Emotionen in vernünftigen Grenzen – und die persönliche Souveränität sorgt als Basis für Überzeugungskraft.

Tipps für starke, introvertierte Stimmen: Nachdruck

Nachdruck in der Stimme verleiht einer Äußerung Intensität und Dringlichkeit.

  • Die Person, die spricht, investiert Energie in Intonation, Lautstärke oder Akzentuierung. Damit entsteht ein Hochstatussignal, das zeigt: Der Mensch oder das Gesagte sind wichtig. Oder beide!

Aber Vorsicht: Lautstärke gewinnt in Statusauseinandersetzungen nicht automatisch.

  • Auch eine leise Stimme kann große Energie vermitteln und durchaus Hochstatus signalisieren!
  • Viele mächtige Menschen sprechen nicht übermäßig laut. Sie sprechen zwar klar verständlich, artikuliert und mit gut dosiertem Energieeinsatz, aber ganz und gar nicht in dröhnender Lautstärke.
  • Auch hier ist es die persönliche Sicherheit von innen heraus, die Stärke vermittelt.

Gleiches gilt für Ihre Intonation und Lautstärke während des Redens.

Starke Akzente, hohe Lautstärke, beschleunigtes Tempo können stark wirken – aber Sie können genauso mit einer ruhigen, leisen, wohlakzentuierten Stimmführung auf der Gewinnerseite stehen.

  • Wenn Sie in einem ganz wörtlichen Sinne leise sind, dann halten Sie unbedingt Blickkontakt.
  • Achten Sie in Ihrer Stimmführung auf ein gemäßigtes, aber nicht zu geringes Tempo, akzentuieren Sie bewusst und setzen Sie Pausen.
  • Achten Sie ganz besonders darauf, tief und langsam in Ihren Bauch zu atmen, sodass Ihre Stimme gut trägt und stetig bleibt.
  • Auch leise können Sie auf diese Weise kraftvoll und energisch sprechen. Einfache, kurze, klare Worte reichen dann völlig aus.

Und falls ein Teilnehmer Ihnen ins Wort fällt oder Sie unterbricht …

Vor allem bei Unterbrechungen durch Mitarbeiter oder durch Kollegen, die mit Ihnen auf einer Hierarchie-Stufe stehen, gilt: Bleiben Sie beharrlich – und reden Sie weiter! Fügen Sie mit deutlicher Stimme den folgenden Satz ein: „Lassen Sie mich das noch zu Ende führen …“ Bei Ihrem Chef kann es manchmal klüger sein, die Unterbrechung durchgehen zu lassen und über Blickkontakt und Nicken in Kontakt zu bleiben, während er redet. Wenn es eben geht, antworten Sie direkt auf seine Äußerung.

Wie hätte das also bei Ines ausgesehen?

Ines: „Ich habe recherchiert – die beste Möglichkeit ist eine Expansion in die EU-Märkte Osteuropas. Polen und Bulgarien haben dabei Standortvorteile. (blickt auf ihr Papier) Wir könnten auch von den Verbindungen profitieren, die wir in Ungarn schon haben, und dann gibt es noch die Allianz, die wir mit der tschechischen Firma Ybos haben, die könnten dann …“

Edgar: (unterbricht) „Grundsätzlich ist der Vorschlag gar nicht schlecht – wenn wir …“

Ines (bewusst und bestimmt): „Danke für Deine erste Einschätzung, lieber Edgar. Lass mich meine Überlegungen noch zu Ende führen. Was hier besonders wichtig ist: …“

Laut sprechen heißt nicht automatisch machtvoll agieren

„Laut werden“ ist nicht gleichzusetzen mit Macht. Einige der machtvollsten und einflussreichsten Menschen der Welt reden mit leiser, ruhiger Stimme. Im deutschsprachigen Bereich hört man weder Angela Merkel noch Günther Jauch herumbrüllen. Und in angloamerikanischen Kulturen: Haben Sie die Queen schon einmal laut erlebt?

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Über die Autorin:

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Dr. Sylvia Löhken ist Expertin für persönlichkeitsbasierte Kommunikation. In ihren Vorträgen, Coachings und Workshops zeigt sie, welche Stärken verschiedene Persönlichkeitstypen bei der Verwirklichung ihrer beruflichen und privaten Ziele nutzen können. Sie versteht es dabei, wissenschaftliche Erkenntnisse und komplexes Know-how in einfache Worte und gut umsetzbare Strategien zu übersetzen. Sie schreibt und publiziert regelmäßig über ihr Wissensgebiet. Ihr Buch Leise Menschen – starke Wirkung wurde mit rund 150.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller und in bisher zwölf Sprachen übersetzt. Unlängst erschien ihr neuer Titel Intros und Extros. Wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren. Hier gibt sie Antworten auf die Frage, wie intro- und extrovertierte Menschen so zusammen leben und arbeiten können, dass es für beide Persönlichkeitstypen passend und nutzbringend ist. www.intros-extros.com

Buchtipp:

1404_Loehken-Buch Intros und Extros – Wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren

GABAL Verlag, Offenbach 2014
360 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-86936-549-7
€ 24,90 (D) | € 25,60 (A)

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